Adam Smith und das Missverständnis der unsichtbaren Hand

Veröffentlicht am 5. April 2025 um 16:37

Warum Wirtschaft ohne Mitgefühl keine Freiheit kennt

Adam Smith gilt vielen als Vordenker der freien Marktwirtschaft. Kaum ein anderer Name wird so häufig bemüht, wenn es um das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage, Wettbewerb und Effizienz, Markt und Moral geht. Dabei ist bemerkenswert, wie selten der schottische Aufklärer tatsächlich gelesen wird – und wie weit das öffentliche Bild von seinem eigentlichen Denken entfernt ist.

Wer Adam Smith auf das Prinzip des Eigennutzes und die sogenannte ‚unsichtbare Hand‘ reduziert, unterschlägt den eigentlichen Kern seiner Philosophie: den Menschen als mitfühlendes, auf Gemeinschaft angewiesenes Wesen. 

Denn lange bevor Smith mit „The Wealth of Nations“ zum Begründer der klassischen Nationalökonomie wurde, hatte er ein anderes Werk verfasst – ein Buch über Moral, Sympathie und das soziale Band zwischen uns: „The Theory of Moral Sentiments“ (1759). Es ist dieser erste Entwurf, der uns einen tieferen Zugang zum Denken eines Mannes eröffnet, der Zeit seines Lebens nie Wirtschaft ohne Ethik, und nie Freiheit ohne Verantwortung dachte.

Ein Mensch zwischen Märkten und Moral

Smith war nicht Ökonom im modernen Sinne, sondern Moralphilosoph. Seine zentrale Frage lautete: ‚Was bringt Menschen dazu, aufeinander Rücksicht zu nehmen?‘ Seine Antwort: unsere Fähigkeit zum Mitfühlen. Das ‚sympathy‘-Prinzip, also das Sich-Hineinversetzen in andere, bildet bei ihm den Grundstein für gesellschaftlichen Zusammenhalt – und damit für jedes friedliche, freiheitliche Miteinander. 

Diese moralische Basis war für Smith keine bloße Zutat, sondern Voraussetzung für das Funktionieren jeder wirtschaftlichen Ordnung. Ein Markt, so seine Überzeugung, kann nur dann zum Wohl aller beitragen, wenn die Akteure in ihm nicht bloß eigennützig handeln, sondern sich zugleich als Teil eines größeren sozialen Ganzen begreifen.

Die „unsichtbare Hand“ – selten genannt, oft missverstanden

Ironischerweise findet sich der Ausdruck der ‚unsichtbaren Hand‘ in Smiths Werk nur ein einziges Mal – und selbst dort eher beiläufig. Er steht nicht für eine magische Marktordnung, die automatisch zum Guten führt, sondern für eine Beobachtung: dass Menschen, die ihr eigenes Wohlergehen suchen, manchmal unbeabsichtigt zum Wohlergehen anderer beitragen. 

Aber Smith war kein Träumer. Er wusste, dass eigennütziges Verhalten ebenso zerstörerisch wie produktiv sein kann – abhängig davon, ob es eingebettet ist in moralische Maßstäbe, soziale Normen und institutionelle Rahmenbedingungen.

 

Die ‚unsichtbare Hand‘ ist bei Smith also kein Dogma, sondern ein Gedanke im Konjunktiv: Sie ‚könnte‘ wirken – unter bestimmten Voraussetzungen. Und genau diese Voraussetzungen sind es, die heute oft fehlen.

Mitgefühl als Bedingung der Freiheit

In der Logik heutiger Wirtschaftssysteme scheint Mitgefühl zuweilen wie ein Störfaktor. Doch für Adam Smith war es das genaue Gegenteil. Ohne moralische Orientierung verkommt die Freiheit des Einzelnen zur Willkür. Und ein Markt ohne Ethik verliert das Vertrauen, das ihn trägt.

Smith plädierte für eine Ordnung, in der wirtschaftliches Handeln sich stets an einem moralischen Kompass misst – nicht staatlich verordnet, sondern gesellschaftlich getragen. Der Staat habe die Aufgabe, Rahmenbedingungen zu schaffen: für Bildung, für Gerechtigkeit, für einen fairen Wettbewerb. Aber der eigentliche Kitt der Gesellschaft, so Smith, ist die Fähigkeit der Menschen, sich in die Lage anderer zu versetzen – und ihr eigenes Handeln daran zu orientieren.

Was bleibt – und was neu entdeckt werden will

Adam Smith neu zu lesen heißt, ihn aus der Engführung des ökonomischen Denkens zu befreien. Es heißt auch, das Spannungsverhältnis zwischen Markt und Moral neu zu durchdenken – gerade in einer Zeit, in der wirtschaftliche Ungleichheit, ökologische Krisen und soziale Spaltung zunehmen.

Vielleicht ist es an der Zeit, nicht nur den Reichtum der Nationen, sondern auch die Verantwortung der Gesellschaft wieder ins Zentrum zu rücken. Adam Smith hätte vermutlich zugestimmt.

 

Smith, A. (2009). The Theory of Moral Sentiments. Edition: Penguin Classics. (Originalarbeit 1759).

Smith, A. (2008). An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations. Edition: Oxford World’s Classics. (Originalarbeit 1776).

 

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