Die globale Gerechtigkeit bei Martha Nussbaum

Veröffentlicht am 5. April 2025 um 15:55

Martha Nussbaum, eine bedeutende amerikanische Philosophin, hat sich in ihren Arbeiten intensiv mit der Frage beschäftigt, wie Gerechtigkeit und Rechte in einer globalen Gesellschaft verstanden und umgesetzt werden können. Obwohl sie sich nicht explizit als Vertreterin des klassischen Naturrechts positioniert, gibt es klare Anknüpfungspunkte zwischen ihrem 'Capability Approach' (Fähigkeitstheorie) und naturrechtlichen Ideen. Ihr Ansatz basiert auf der Vorstellung, dass es grundlegende menschliche Fähigkeiten gibt, die in jeder Gesellschaft gefördert werden müssen, damit Menschen ein gutes und erfülltes Leben führen können. Diese Fähigkeiten, die sie als universell versteht, ähneln den unveräußerlichen Rechten, die in der Naturrechtstradition häufig betont werden.

Der Capabililty Approach

Nussbaums 'Capability Approach' betont die Notwendigkeit, jedem Menschen die Möglichkeit zu geben, seine Grundfähigkeiten zu entfalten, unabhängig von Geschlecht, Nationalität oder sozialem Status. Zu diesen grundlegenden Fähigkeiten zählen unter anderem die Möglichkeit, körperliche Gesundheit zu erhalten, sich an politischen Entscheidungen zu beteiligen, Bildung zu genießen und in sozialer Gemeinschaft zu leben. Diese Fähigkeiten sind nicht kulturell oder gesellschaftlich bedingt, sondern entspringen, so argumentiert Nussbaum, der menschlichen Natur selbst. In diesem Punkt gibt es eine offensichtliche Parallele zum Naturrecht, das auch von der Existenz universeller moralischer Prinzipien ausgeht, die allen Menschen als solche zustehen.

Die Menschenwürde

Ein besonders starker Anknüpfungspunkt zwischen Nussbaums Arbeit und dem Naturrecht ist ihre Vorstellung von der Menschenwürde. Für Nussbaum liegt die Würde des Menschen in seiner Fähigkeit, ein selbstbestimmtes und erfülltes Leben zu führen, was nur möglich ist, wenn die sozialen und politischen Strukturen die Entfaltung der menschlichen Fähigkeiten unterstützen. In gewisser Weise kann man Nussbaums Philosophie als eine moderne Form des Naturrechts interpretieren, das nicht auf metaphysischen oder theologischen Annahmen basiert, sondern auf einer empirischen Betrachtung des menschlichen Lebens und der Bedingungen, die notwendig sind, um dieses Leben zu fördern.
In ihrem Buch 'Frontiers of Justice' erweitert Nussbaum diese Überlegungen um die Frage der globalen Gerechtigkeit. Sie kritisiert klassische Theorien, darunter auch naturrechtliche Ansätze, dafür, dass sie oft nur auf nationale Kontexte beschränkt sind und die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen, älteren Menschen oder den globalen Armen nicht ausreichend berücksichtigen. Ihr 'Capability Approach' zielt darauf ab, diese Lücken zu schließen, indem er einen universellen Rahmen bietet, der die individuellen Lebensbedingungen berücksichtigt und gleichzeitig grundlegende menschliche Rechte und Bedürfnisse als universell anerkennt.

Chancengleichheit

Ein weiterer wichtiger Aspekt ihrer Philosophie, der in engem Zusammenhang mit dem Naturrecht steht, ist Nussbaums Engagement für die Rechte von Frauen. In vielen Gesellschaften werden Frauen daran gehindert, ihre grundlegenden Fähigkeiten zu entwickeln und zu entfalten – sei es durch mangelnden Zugang zu Bildung, ökonomische Abhängigkeit oder soziale Normen, die ihre Autonomie einschränken. Nussbaum argumentiert, dass diese Hindernisse eine Verletzung der Menschenwürde darstellen und dass eine gerechte Gesellschaft darauf abzielen muss, diese Ungerechtigkeiten zu überwinden, indem sie Frauen und Männern die gleichen Chancen bietet, ihre Fähigkeiten zu verwirklichen. Dies erinnert an die Forderungen des klassischen Naturrechts, das gleiche Rechte für alle Menschen postuliert, unabhängig von äußeren Faktoren wie Geschlecht oder sozialem Status.

Fazit

Abschließend lässt sich sagen, dass Martha Nussbaums 'Capability Approach' zwar nicht direkt als 'naturrechtlich' bezeichnet werden kann, aber deutliche Parallelen zu dieser Tradition aufweist. Ihre Betonung universeller menschlicher Fähigkeiten und der Menschenwürde sowie ihre Forderung nach Gerechtigkeit auf globaler Ebene stehen in einer Linie mit den Prinzipien des Naturrechts, das ebenfalls universelle Rechte und Pflichten für alle Menschen annimmt. Nussbaums Werk bietet eine moderne, empirisch fundierte Interpretation dessen, was es bedeutet, Menschenrechte zu schützen und eine gerechte Gesellschaft zu gestalten.

 

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