
Jürgen Habermas, einer der führenden Vertreter der Frankfurter Schule, beschäftigt sich in seiner jahrzehntelangen Arbeit intensiv mit der Frage der Legitimation von Recht und Gerechtigkeit. Anders als Vertreter des klassischen Naturrechts, wie etwa Thomas von Aquin oder John Locke, lehnt Habermas die Vorstellung ab, dass es eine unveränderliche, von der menschlichen Vernunft unmittelbar erfassbare Rechtsordnung gibt, die überstaatlich gilt. Seine Philosophie zielt darauf ab, die Legitimation von Recht und Moral nicht in einer vorgegebenen Naturordnung zu finden, sondern in den Kommunikationsprozessen der Gesellschaft selbst.
Die Diskurstheorie des Rechts
In seinem Werk 'Faktizität und Geltung' entwickelt Habermas die Diskurstheorie des Rechts, die auf dem Prinzip des herrschaftsfreien Diskurses basiert. Für Habermas entsteht legitimes Recht durch einen rationalen, öffentlichen Diskurs, in dem die beteiligten Bürger gleichberechtigt und frei von Zwang miteinander argumentieren. In diesem Prozess wird kein Bezug auf ein Naturrecht als übergeordnete moralische Instanz genommen, sondern die Legitimation von Normen und Rechten basiert auf der Kraft des besseren Arguments und dem Konsens der Beteiligten.
Das Problem des Naturrechts
Habermas sieht das Problem des Naturrechts vor allem darin, dass es eine statische, unveränderliche und oft religiös aufgeladene Grundlage für das Recht vorgibt. Dies steht im Widerspruch zu seiner Vorstellung von einer demokratischen Gesellschaft, in der Rechte und Normen kontinuierlich durch den öffentlichen Diskurs verhandelt werden müssen. Seine Theorie geht davon aus, dass Normen nicht einfach als gegeben angenommen werden können, sondern stets einer Begründung und Rechtfertigung durch die Betroffenen bedürfen. In diesem Sinne stellt er das Naturrecht als eine vergangene Stufe der Rechtsentwicklung dar, die durch moderne, demokratische und kommunikative Verfahren ersetzt werden sollte.
Habermas’ Diskurstheorie des Rechts ist tief in der Aufklärungstradition verwurzelt und strebt eine Abkehr von metaphysischen Begründungen für Recht und Moral an. Dennoch sieht er, ähnlich wie Naturrechtstheoretiker, eine enge Verbindung zwischen Recht und Moral. Auch wenn er das Naturrecht als überholt ansieht, erkennt er an, dass jede legitime Rechtsordnung auf moralischen Prinzipien basieren muss. Diese Prinzipien sind jedoch nicht, wie im klassischen Naturrecht, vorgegeben, sondern müssen im Diskurs erarbeitet und begründet werden.
Praktische Relevanz
Die praktische Relevanz seiner Theorie zeigt sich besonders in der Frage der Menschenrechte. Habermas argumentiert, dass Menschenrechte nicht auf einem naturrechtlichen Fundament stehen, sondern als Ergebnis eines globalen Diskurses über Gerechtigkeit und Moral verstanden werden sollten. Sie haben ihre Geltung nicht aufgrund einer göttlichen oder natürlichen Ordnung, sondern weil sie in einem rationalen, interkulturellen Diskurs als universell gültig anerkannt wurden.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Habermas das Naturrecht zugunsten einer prozeduralen Legitimation von Recht ablehnt. Seine Diskurstheorie stellt den öffentlichen, herrschaftsfreien Diskurs als Grundlage für die Legitimation von Recht in den Vordergrund und sieht darin die Möglichkeit, Normen und Rechte auf rationale Weise zu begründen.
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